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Asthma-Anfälle

Christoph Glösenkamp

10.10.2023

"It's not what you look at that matters, it's what you see." – Henry David Thoreau.

In meiner Zeit als Oberarzt an der Charité wurde eine 18-jährige Patientin auf die damals von mir betreute pneumologische Station aufgenommen. Sie war vor kurzem mit der Schule fertig geworden, und plante ein Medizinstudium. Das führte auch zu ihrem Umzug von Süddeutschland nach Berlin. Grund der Aufnahme auf unsere Station war ein schwerer Asthmaanfall. Das war für die Patientin überhaupt nichts neues, sie kämpfte schon seit Jahren mit einem schweren Asthma. Dies machte an ihrem alten Wohnort wiederholte Krankenhausaufnahmen und sogar Aufenthalte auf der Intensivstation notwendig. Weil das Asthma auch durch eine maximale inhahalative Therapie ("Sprays") nicht ausreichend zu beherrschen war, mussten die Ärzte ihr immer wieder Kortison als Infusion oder Tabletten geben. So häufig, dass man der Patientin bereits den "Cushing" ansah, die typischen Nebenwirkungen bei häufiger Gabe des Medikaments: ein etwas geschwollenes Gesicht, Hautstreifen am Bauch und eine insgesamt etwas dünnere Haut.

Heutzutage sieht man derartige Veränderungen nur noch sehr selten bei Asthmatikern, was vor allem an den sehr guten inhalativen Medikamenten liegt. Außerdem gibt es seit einigen Jahren sogenannten monoklonale Antikörper die wir bei sehr schwerem Asthma einsetzen können, und die Kortison als Tablette oft überflüssig machen.

Als ich die Patientin nun das erste Mal in ihrem Krankenzimmer sah, war ich etwas überrascht, wie gut es ihr ging. Zu dem Zeitpunkt als ich sie sah, zeigte sie keinerlei Anzeichen von Atemschwierigkeiten. Auch mit dem Stethoskop konnte ich keinerlei Auffälligkeiten beim Atemgeräusch wahrnehmen. Sie war zwar bereits am Vorabend eingeliefert worden, und seitdem mit hoch dosiertem Kortison und Inhalativa behandelt worden. Dennoch, oft dauert es trotz dieser Maßnahmen einige Tage, bis es zu einer deratig deutlichen Besserung kommt. Ich nahm das erstmal erfreut zur Kenntnis, und konnte der Patientin die baldige Entlassung in Aussicht stellen.

Um so mehr war ich am nächsten Morgen überrascht, als in der Frühbesprechung ein Assistenzarzt der in der Nacht Bereitschaftsdienst hatte, berichtete, dass die Patientin zu später Stunde erneut einen schweren Asthmaanfall erlitten hatte, und zur Durchbrechung erneut hochdosiertes Kortison über die Vene infundiert werden musste. Das ist sogar noch viel ungewöhnlicher als der gute Zustand am Vortag. Was soll zu einer erneuten so raschen Verschlechterung geführt haben? Es waren keine Allergien bekannt, die das Asthma bei der Patientin auslösten, bzw. war auch sowieso keine Allergiesaison. Als ich die Patientin morgens sah, ging es ihr erneut sehr gut, auch die Lunge klang tadellos. Was könnte der Auslöser für diese schweren und plötzlichen Anfälle sein?

Aufklärung ergab der kommende Nachmittag. Ich wurde von den Assistenzärzten auf der Station angerufen, dass unsere Patientin erneut gerade einen schweren Asthmaanfall hätte. Beim Abhören der Lunge hätten sie ein schweres Giemen gehört. Sie fragten, ob sie erneut eine Kortisoninfusion durchführen sollten. Ich verneinte, und tat das, was man als Oberarzt nur ungern macht: ich schaute mir die Patientin selbst an.... Es stimmte, sie hatte schwere Luftnot, saß ängstlich aufrecht im Bett. Man konnte das auffällige Atemgeräusch bereits ohne Stethoskop im Zimmer hören. Durchaus verständlich, dass allen Beteiligten da "Angst und Bange" wurde. Ich hörte mit dem Stethoskop dennoch mal selbst auf die Lunge. Ja, es pfiff und giemte ordentlich, überall über der Lunge und ja, vor allem bei der AUSatmung (das wird noch wichtig). Aber am meisten eher zentral, über der Luftröhre und im Halsbereich.

Ich schickte erstmal die anderen Ärzte aus dem Zimmer, und setzte mich neben das Bett der Patientin. Sie wollte ja Medizin studieren, und so verwickelte ich sie in ein Gespräch über ihren Berufswunsch, berichtete ihr über meine Erfahrungen im Studium usw. Während am Anfang die Patientin mir wegen der Luftnot nur kurze Antworten geben konnte, wurde das innerhalb weniger Minuten deutlich besser, und nach etwa 5-10 Minuten war der "Asthmaanfall" vorüber.

Was war also passiert? Kein Asthmaanfall, in so interessante Gespräche kann ich jemanden gar nicht verwickeln, als dass ich damit einen solchen beheben könnte. Die Patientin litt an einer sogenannten vocal cord dysfunction (VCD). Dabei kommt es zu einer plötzlichen und anfallsartigen UNWILLTENLICHEN Verengung des Kehlkopfes, genauer zu einer Engstellung der Stimmlippen. Dadurch fällt es deutlich schwerer EINzuatmen. Es ist eine häufige Differentialdiagnose bei Asthmatikern. Wir unterscheiden das typischerweise dadurch, dass das Atemgeräusch bei der VCD beim Einatmen auftritt, weil die Engstelle im Halsbereich ist, während beim Asthma das Atemgeräusch vor allem beim AUSatmen auffällt, weil die Engstellung in den Bronchien im Brustkorb ist. Ich hatte bei der Patientin bereits zu Beginn an eine mögliche VCD gedacht, der bisherige Verlauf erschien mir doch zu ungewöhnlich, die sehr häufigen Krankenhausaufenthalte mit dem fehlenden Ansprechen auch auf höhere Kortisondosen (natürlich gibt es das auch mal beim Asthma!). Was aber bei der VCD auch typischerweise auftritt, sind Atemnnotanfälle "aus dem Nichts" mit schwerster Symptomatik und nur geringem oder gar keinem Ansprechen auf inhalative Medikamente. Häufig sind das Patienten die in unsere Praxis kommen mit einer bereits maximal ausgereizten Asthmatherapie, in der Lungenfunktion sehen wir dann aber keinerlei Auffälligkeiten. Trotzdem berichten uns die Patienten, dass außerhalb unserer Praxis es immer wieder zu schwersten Atemnotanfällen kommt.

Es ist nur schwer, die Diagnose auf objektivierbare Untersuchungsbefunde zu fußen, da wir die Patienten ja in der Regel außerhalb eines akuten Anfalls sehen. Man kann über HNO-Ärzte versuchen während einer Laryngoskopie (also einer Spiegelung der Stimmlippen) einen solchen Anfall zu provozieren. Das gelingt aber nicht immer. Die Anamnese bleibt für uns das wichtigste. Auch Ärzten in Notaufnahmen kommt eine hohe Bedeutung zu, da diese oft die einzigen sind, die eine Chance haben die Patienten während eines Anfalls zu sehen. Hier muss dann unbedingt beim mutmaßlichen Asthmaanfall darauf geachtet werden, ob der Stridor eher bei der Einatmung oder Ausatmung auftritt.

Therapeutisch steht die Logopädie im Vordergrund, also Übungen die dem Patienten helfen, den Kehlkopf zu entspannen oder anders "anzusteuern". Häufig hilft auch bereits eine ausführliche Aufklärung von uns über das Krankheitsbild weiter, und insbesondere das Wissen, dass KEINE Gefahr für Leib und Leben von einer VCD ausgeht. Die Stimmlippen gehen irgendwann wieder auf.

Aber wie passt das nun zu unserer Patientin, bei der ich ja explizit erwähnt hatte, dass das Atemgeräusch bei der Ausatmung am stärksten war. Das würde doch viel besser zum Asthma passen... Ja, stimmt. Und ist auch sicher der Grund, warum sie in der Vergangenheit bereits mit so viel Kortison behandelt wurde. Die anderen Ärzte hatten sicher auch schon an eine VCD als Differentialdiagnose gedacht. Aber wenn es nun mal beim Ausatmen giemt?... Sehr selten kann eine VCD sich eben so präsentieren, dass das Ausatemgeräusch führt. Es gibt dahingehend keine wirklichen Zahlen in der Literatur, es wird einfach nur als mögliches Phänomen beschrieben.

Leider hatte ich die Patientin nach der Entlassung aus unserem Krankenhaus nicht mehr wiedergesehen, einen Folgetermin in unserer Ambulanz wurde nicht wahrgenommen.

Christoph Glösenkamp
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